Zug um Zug zu Stefan Zweig
Bewegung bringt der Kabarettist Didi Jünemann in das Werk "Die Schachnovelle" von Stefan Zweig. Die dynamischen Zeichnungen bringen Bewegung in das Spiel. Untermalt wird die anstehende Vernissage am 4.3.2024 in der Michael Horbach Stiftung von einem Saxophon Spiel und einem Vortrag über das Werk von Stefan Zweig von Professor Dr. Hector Haarkötter
Täler der Befindlichkeiten
Wie viele Rückschläge muss ein Mensch erleben, um zu seinem Glück zu finden und wie groß ist sein eigener Anteil an diesen Tiefen? Daniel hat in seinen Tagen als Student in Amerika seine damalige Freundin im Stich gelassen und ist per se ein wankelmütiger, sprich nicht ganz stabiler, Charakter. Er bringt eine Ehe hinter sich und schafft es nicht, den regelmäßigen Kontakt zu seinen beiden Kindern zu erkämpfen. Frustriert trifft der Linguistik-Professor bei einem Ausflug nach einem Seminar in Irland unverhofft auf den ehemaligen Filmstar Claudette Wells. Diese hatte sich in einer hauruck Aktion aus der Glamourwelt verabschiedet. Gemeinsam bauen sich die beiden ein neues. zartes, wackeliges Patchwork-Leben auf, mit ihrem Sohn, auch mit gemeinsamen Kindern und peu à peu mit seinen beiden Kindern. Doch der Unfalltod seiner Tochter und der nun bekannt gewordene Tod damals seiner Freundin wirft Daniels abermals völlig aus der Bahn. Dank der Hilfe seines ältesten Sohnes findet er langsam zu sich zurück und zu seiner großen Liebe.
Hier muss es sein, Maggie O´Farrell, Verlag Piper
Hinter der glänzenden Fassade
Es ist das, was Du nicht sagst, sagt der nicht ganz akzeptierte Ehemann zu der ach so erfolgreichen Anwältin. Joy steht fast davor, Partnerin zu werden in der renommierten Kanzlei und eigentlich läuft ja alles glatt. Doch da sind so ein paar Wellen hinter der glänzenden Fassade, durch die die so patent wirkende Joy anfängt zu straucheln und bewusst anfängt, darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist im Leben. Auch wenn die Thematik interessant ist, ist sie ja nicht ganz unbekannt, auch wenn diese es öffentlich nicht zugeben. Dies wird nun in rasanter Art und Weise beschrieben, ohne Kommata, was ehrlich gesagt, nicht so ganz mein Ding ist.
Joy, Jonathan Lee, Verlag Diogenes
Aufrichten und Krone richten, positiv denken
Philip Carey lebt nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Nicht nur, dass er Waise ist und bei seinem kühlen Onkel und dessen Frau aufwachsen muss. Er ist auch noch mit einem angeborenen Klumpfuß belastet, der ihn dem Spott seiner Mitschüler aussetzt. Dessen schämt er sich - lässt ihn aber nicht verzagen. Der Kunst zugewandt, geht er zunächst nach Paris, um dort aber festzustellen, dass er keinerlei Talent hat. Darüber hinaus kommt er auch finanziell gerade so zurecht, was ihn jedoch nicht von einer gewissen Großzügigkeit abhält. Diese nützt eine gewisse Dame namens Mildred schamlos aus, an die er sein Herz verliert ohne zu merken, dass sie ihn fast mit in den Abgrund zieht. Parallel dazu fängt er am Hospital ein Medizinstudium an, welches natürlich mit hohen Kosten verbunden ist. Um aus seiner finanziellen Misere herauszukommen, spekuliert er mit Aktien und verliert prompt im zweiten Versucht fast sein ganzes Geld und durch die krankhafte Reaktion Mildreds sein Hab und Gut. Wieder muss er neu anfangen und verdingt sich seinen Lebensunterhalt, da er sich das Medizinstudium nicht mehr leisten kann, als ` Mädchen für alles´ in einem Warenhaus. Gerade für die heutige Zeitgenossen ist es schön zu lesen, dass jemand, der nicht gerade mit einem goldenen Löffel geboren ist und diverse Schicksalsschläge erleben muss, es trotzdem - auch mit zeitweiliger Niedergeschlagenheit - schafft, sich immer wieder aufzurichten, nach vorne zu schauen und positiv zu denken und sein Glückzu finden, ohne selbst anderen zu schaden.
Der Menschen Hörigkeit, W. Somerset Maugham, Verlag Diogenes
Wo komme ich her, wo gehöre ich hin
Dejà vu : bei den momentanen Ereignissen wird völlig vergessen, dass es so etwas ähnliches ja schon mal gab. Zwar nicht in dem jetzigen Ausmaß, für die damals Betroffenen wahrscheinlich schon. Im Jugoslawien-Krieg der 80er Jahre wurden ebenfalls Dörfer zerrissen und es kämpften Völkerstämme eigentlich eines Landes gegeneinander. Der 1978 im bosnischen Visegrad geborene Sasa Stanisic erzählt von seiner Kindheit, seiner besonderen Beziehung zu seiner Großmutter mit kleinen und feinen Anekdoten in der unverwechselbaren Sprache der Jugend. Doch die Familie muss flüchten und so muss sich der junge Sasa in Deutschland zurechtfinden und in der oft gnadenlosen jugendlichen Gesellschaft zurecht finden.
Mit einer Prise von Humor, der adäquaten Großspurigkeit und der doch sehr sozialen Verbindlichkeit zu seiner Familie behauptet sich Sasa auch in seiner neuen Heimat und findet seinen Platz in seinem `anderen´ Leben.
Herkunft, Sasa Stanisic, Verlag btb
Die andere Welt von Erich
Es ist nicht nur, dass die Welt der besonderen Autisten noch nicht erkannt und diagnostiziert war, erschütternd ist zu lesen, wie grausam doch manche Menschen waren...oder noch sind?
Es ist die Geschichte des kleinen Erichs, der unter die Fittichen des Arztes Dr. Hans Asperger mit der Unterstützung der liebevollen Viktorine gerät. Der Mediziner und seine Assistentin erkennen die besonderen Fähigkeiten des Jungen und versuchen diese zu fördern, wobei die Rolle des Arztes nicht ganz klar ist. Welche Verbindung besteht wirklich zu dem Wiener Kinderheim Spiegelgrund, in dem die Kinder grausam gequält werden. Während ihrer Recherche - in den 80er Jahren - gerät die Psychologiestudentin Sophie auf die Spuren dieser Ereignisse und gerät in ihren Bann und kann schließlich nachvollziehen, was Dr. Asperger zu seinen Handlungsweisen veranlasst hat….Mir stellt sich allerdings die Frage, ob die Menschen...auch hier in Deutschland sowie in Österreich und auf der ganzen Welt, wirklich menschlicher geworden sind oder ist die ganze zur Schau getragene Betulichkeit reine Show.
Aspergers Schüler, Laura Baldini, Verlag Piper
Abriss eines Lebens
Später ist man bekanntlich immer schlauer Doch wenn man in gewisse Situationen kommt, ist eine gefühlsmäßige Schwäche häufig unüberwindbar. Dies muss die fast 70jährige Israelin Rivi Greenfeld auch erkennen, als sie angesichts des Verlassens ihrer Wohnung auf ihr gefühlsbestimmtes Leben zurück schaut. Es ist eine Zwangsräumung, die auf sie zukommt und beim Zusammenpacken ihrer Habe kommt sie ins Grübeln. Sie hat sich quasi immer zur Gespielin diverser machthungriger Männer machen lassen. Die Meetoo-Fraktion wird aufschreien, da diese Männer Rivi ganz klar ausnutzen...aber sie ist immer im vollen Bewusstsein in diese Abhängigkeiten geraten und hat die Spielchen lange mitgetrieben, auch wenn längst klar war, wo der Hase langläuft.
Auch ihr Widerstand gegen die unabänderliche Tatsache des Neuanfangs, der wiederum in seiner Dauer unsicher ist, ist eine wacklige Angelegenheit. Auch wenn der aktuelle Showdown bei Fertigstellung des Buches noch nicht erfolgt ist, kann man beim Durchlesen erahnen, dass das Leben bis dahin irgendwie menschlich war.
Nur nicht zu den Löwen, Lizzie Doron, Verlag dtv
Rassismus von allen Seiten
Es sind jetzt keine Vorbehalte, aber wer glaubt, dass nur farbige oder anders kulturelle Menschen, hinten anstehen oder rassistisch sind, der täuscht sich. Die weiße Mary Pat lebt in einer "schwarzen " Gemeinde und ist im Abseits des Lebens. Ihr Sohn stirbt am "Goldenen Schuss" und ihre Tochter gerät in schlechte Gesellschaft und wird getötet. Da jedoch gleichzeitig einer aus der Gemeinde getötet wird, ist sie rassistischen Anfeindungen seitens der schwarzen Bevölkerung ausgesetzt. Die gegenseitigen Rachefeldzüge - äußerst brutal geschildert - können eigentlich nur zu einem führen - zum Mord. Es ist natürlich sehr real, was sich in den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten abspielt, trotzdem will man ja eigentlich wieder einmal etwas Schönes lesen. Ich zumindest.
Trotzdem ein interessantes Buch.
Sekunden der Gnade, Dennis Lehane, Verlag Diogenes
Antiquierte Melodien mit wunderschönem Zauber
Es liest sich endlich wieder einmal wie ein Buch, die Geschichte des jungen Adrià. Aufwachsend quasi im Antiquariat seines Vaters, soll er die ehrgeizigen Pläne seiner Eltern befriedigen, die ihn zu einem Genie gleich auf mehreren Gebieten sehen möchten. Zwar gehört seine Liebe einer Geige, aber nicht dem Leben eines Geigers. Und diese Geige, eine Storioni, wird der Familie - und dazu das Leben und Verhalten des Vaters - zum Verhängnis. Trotz Intrigen, Mord und allem was dazugehört, ist das Buch wunderbar lesenswert, gespielt in Barcelona und untermalt mit italienischen Nuancen.
Das Schweigen des Sammlers, Jaume Cabré,
Büchergilde Gutenberg
Wurzeln oder Herkunft
Auf der Suche nach seiner Herkunft erlebt man ja manchmal Überraschungen. Doch wenn man einmal Glück hat sind diese doch ganz positiv. Als die Mutter von der 14 jährigen Billie verstirbt, ist das Mädchen zutiefst geschockt. In armen Verhältnissen aufwachsen - in denen z.B. Urlaub ein Fremdwort ist, hatte Billie jedoch eine phantasievolle Mutter, die ihr das Leben mit allen möglichen Einfällen schön machte. Verloren, wie sie sich fühlt, will Billie nun endlich wissen, wer ihr Vater ist und begibt sich auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise mit erstaunlichem Ausgang. Wundervoll geschrieben mit viel Einfühlsamkeit ohne depressiv zu werden.
Elena Fischer, Paradise Garden, Verlag Diogenes
Verrat der Ideale
`Eine Leiche im Keller´ hat fast jeder; erst recht aus der Jugend, in der man noch Ideale hatte. Dass sich einer der Idealisten jedoch als Judas entpuppt, hätte damals keiner gedacht. Daher kommt die Erkenntnis Jahre später um so heftiger, vor Gericht. Erzählerin ist Anna, Lehrerin an einer Londoner primary school, die anlässlich dieses Gerichtsprozesses auf ihre Vergangenheit trifft. Einst war sie Mitglied in einem subversiven Orchester, verrät Hartmann, wo sie in Kontakt mit jenem Rumpelstilzchen kommt, einem scheinbaren Freund, der nun die illegalen Aktionen seiner ehemaligen Freunde vor der Anklagebank aus ausbreitet. Die Kritikerin sieht hier klare Bezüge zu aktuellen Debatten um die Strafbarkeit von Aktivismus, aber auch zur drohenden Spaltung der englischen Gesellschaft durch Politik, Corona und Schulen. Besonders überzeugt sie der Detailreichtum der Erlebnisse Annas, die auch durch ihre Familie sowie eine Vergewaltigung traumatisiert ist. Wenn Kennedy davon immer wieder in Abschweifungen erzählt, ist man als Leser erst irritiert, dann gefesselt.
Als lebten wir in einem barmherzigen Land
A.L. Kennedy
Verlag Hanser
Reden ist Silber, Schweigen ist nicht Gold
vor allem, wenn es um Familientragödien geht. Nichts ist schlimmer in einer Familie, wenn irgendetwas Dramatisches verschwiegen wird. Doch es passiert immer wieder, auch heute noch. Die junge Engländerin Gwen hat deutsche und polnische Vorfahren über deren Schicksal aber nicht so richtig geredet wird. Dann überredet ihre Tante Lily sie zu einer Reise in die Vergangenheit, nach Polen, was den Stein ins rollen bringt. Was war damals wirklich geschehen und wie und warum ist ihre Mutter zu Tode gekommen. Und auf einmal stellt sich heraus, dass es noch ein Familienmitglied gab, über dessen Existenz ebenfalls geschwiegen wurde. Dann muss doch die mondäne Großmutter zu Rate gezogen werden - auch aufgrund vieler Briefe einer nahestehenden früheren Freundin - und diese fliegt tatsächlich aus dem Exil aus Chile ein. Es ist sehr interessant zu lesen, wie doch viele Schicksale miteinander verwoben sind und vor allem die kleine aber feine Realität, dass jemand doch eine ganz andere Rolle einnimmt, als bisher angenommen. Ein Blick zurück mit viel Sentimentalität aber ohne Kitsch.
Portrait einer grünen Wandfarbe, Elisabeth Sandmann, Verlag Piper
Ein Nigeria, zwei Welten, doch eine Gemeinsamkeit: Gewalt
Eniola und Wuraola gehören in dem afrikanischen Land zwei unterschiedlichen Gesellschaftsschichten an. Eniola sackt durch den Arbeitsverlust seines Vaters immer mehr in die Armut ab und sieht sich in der Schule, abgerutscht von einer teuren Privatschule in die staatliche Gemeinschaftsschule immer mehr Angriffen ausgesetzt. Er wird Opfer einer kriminellen Acquise. Wuraola hat scheinbar Glück in ihrem Leben. Sie stammt aus einer betuchten Familie, ist Assistenzärztin und einen Verlobten aus den guten Kreisen. Doch dieser entpuppt sich ebenfalls als Gewalttätig. Durch verschiedene Gelegenheiten, auch politischen, verflechten sich die Schicksale der beiden Familien auf tragische Weise bis zum gewaltsamen, traurigen Finale.
Das Glück hat seine Zeit, Ayòbàmi Adébàyò, Verlag Piper
Wenn ein Buch erzählt
Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen, das gilt auch für einen Roman. "Die Rebellion", von Joseph Roth, eine Geschichte unter anderem über einen Leierkastenmann, includiert des Schicksals des österreichischen Autors, steht während des zweiten Weltkriegs auf dem Index der Nazis. Es wird versteckt, gerettet und schließlich wiederentdeckt, von einer deutsch-amerikanischen Künstlerin. Lena macht sich auf die Reise nach Deutschland - nicht wissend per Handy gestalkt von ihrem Ehemann - um eine in dem Buch verzeichnete Karte zu entschlüsseln. In Berlin wird ihr ihre Handtasche, mitsamt des Buches gestohlen. Dieses wird nun wieder gerettet und die abtrünnige Lena beginnt ein erotisches Intermezzo mit dem Retter Armin. Interessant ist, dass die Geschichte aus der Sicht und Ich-Form des Buches erzählt wird, immer wieder gekonnt und gezielt abschweifend in die Vergangenheit von Joseph Roth und seiner tragischen Ehe mit einer psychisch labilen Gattin. Etwas überflüssig ist ein Anschlag und die Figur eines Schurken.
Echos der Vergangenheit, Hugo Hamilton, Verlag Luchterhand
Hart aber herzlich
Rauhe Schale, weicher Kern: so ist Britta nun mal. Als der junge Adam, durch Drogengeschäfte in Schwierigkeiten geraten, bei der alten Dame - immerhin 86 - auf der kleinen schwedischen Insel ins Fenster einsteigt, weißer noch nicht, was ihm im Sommer blüht. Doch blühen ist ja etwas schönes Positives. Britta, gemeinsam mit ihrer ebenso alten Freundin Iris, nimmt den jungen, im Grunde seines Herzens guten und ehrlichen Mann - an die Kandarre, nimmt ihn bei sich auf und lässt ihn hart arbeiten. Doch so langsam aber sicher - wie soll es anders sein - entwickelt sich eine wunderbare Freundschaft zwischen den Dreien. Diese Idylle können die zunächst skeptischen Kinder Brittas nicht stören. Doch schließlich sehen alle ein, dass die drei nur gewinnen können. An Zuwendung, Wärme, Hilfe und Lebenserfahrung, so dass sich für Adam doch wieder vieles zum Guten wendet. Schön zu lesen.
Vielleicht der schönste Sommer, Eleonore Holmgren, Verlag DTV
Eine herrlich sanfte wilde Kindheit
"Torwart" wollte der kleine Patrick Nothomb werden. Leicht verzärtelt von Mutter und Großmutter der belgischen Haute Volée, landet er schließlich - auf Bestreben seines Großvaters - bei den anderen Verwandten seines verstorbenen Vaters in dem herrlich verwilderten und halb verfallene Schloss und der nicht weniger verwilderten Halbgeschwisterschar in den Ardennen. Jetzt ist Schluss mit sanftem Verwöhnen. Hier heißt es sich jetzt durchsetzen: der Kampf ums wenige Essen und der noch wichtigeren Rangliste unter der Sippschaft ist quasi pures Überleben. Heizung in dem verschneiten, harten Winter der 60er Jahre, gibt es nicht, Zuwendung ist Mangelware und doch gibt es immer wieder Lichtblicke, wie das gemeinsame Fußballspiel oder die unerwarteten Hilfen einiger "Mitleidenden". Patrick will jedes Jahr wiederkommen, denn hier kann er sein, was er ist: ein ganz normales wildes Kind. Als er erwachsen wird, wird er nicht Torwart oder Bahnhofsvorsteher, wie er es sich einst vorgestellt hat, sondern Diplomat und ausgerechnet in den blutigen Kämpfen des Kongos - wo er doch bei Blut in Ohnmacht fällt. Doch auch diese Aufgabe meistert er mit der seiner ganz eigenen Courage.
Ein herrliches Buch, geschrieben in der Sprache eines heranwachsenden Kindes und Jugendlichen. Klein aber sehr fein.
Der belgische Konsul, Amélie Nothomb, Verlag Diogenes
Auf der Suche nach sich selbst
Immer auf der Suche nach sich selbst sein, kann anstrengend sein. Da springt ,am mal von hier nach da und darum hat dieses Buch quasi keine Handlung. Efterpi, so der Spitzname der Autorin, ist ein Flüchtling, wie er im Buche steht. In den 70er Jahren flüchtet sie aus der Türkei, dem alt hergekommenen Orient, um in die große weite Welt kennen zu lernen. Der Leser erlebt sie in Paris oder Berlin und sonst wo, wo sie immer wieder bei Freunden und Bekannten in WG´s unterkommen kann. Heute nennt man das auch Couchsurfing. Die Szenerien bringt die junge Türkin ganz nah und ist so lebendig - teilweise jedoch mit Wiederholungen - geschrieben, dass man sich mitten im Geschehen fühlt. Interessant ist, wie sich derzeit schon von weitem gegen das Regime und die Gesellschaftsordnungen auflehnt und auf der anderen Seite die Schönheiten ihres Heimatlandes in Europa widerspiegelt.
Ein von Schatten begrenzter Raum, Emine Sevgi Özdamar, Verlag Suhrkamp
Nettes für den Pool
Was waren das früher noch für strenge Sitten, als die jungen Damen der Gesellschaft nichts anderes als nett und gefügig sein sollten. Da war ein Mädchenpensionat genau das Richtige, um sie in dieses Schema reinzupressen. Doch wenn das Herz über die gesellschaftlichen Grenzen hinaus schlägt? Wie dieses Dilemma von Nora, Fanny, Agnes, Lotte und nicht zuletzt Gescha Petersen zu lösen ist, liest sich leicht und locker an zwei Nachmittagen an einem Pool. Mit open End, Fortsetzung folgt also.
Anna Perbrandt, Das Pensionat am Holstentor,
Verlag RORORO
Vergrabene, dunkle Erinnerungen
Da war doch etwas. Und da gab es eine dunkle Grenze, das sogenannte Sperrgebiet. Lost places -eigentlich erwartete die Anwaltsangestellte Milla bei ihrer privaten Suche etwas ganz anderes, als sie auf einen verschütteten Keller in einem Waldgebiet stößt. Doch so langsam aber sicher stößt sie auf die Vergangenheit einer großen Familie in einem ehemals ehrwürdigen Hotel. Doch so langsam aber sicher stellt sich heraus, dass nicht alle Mitglieder der Familie so ehrwürdig waren. Jedoch muss man sagen, dass die Zeiten und das Regime der aleten DDR bei so manchen ihre Moral über Bord werfen lies, um das eigene Überleben zu sichern. Nachdenklich werden lässt es mich als Leser, dass in den 70er Jahren, in meiner frühen Jugend, wo ich schon die ersten großen Freiheitsschritte machte, jenseits der Mauer davon überhaupt noch nicht die Rede war. Interessant zu lesen.
Was uns erinnern lässt, Kati Naumann,
Verlag Harper Collins
Moralwechsel
"Die Reichen", über die wird ja gerne abgelästert, besonders wenn man sich in den sogenannten akademischen Kreisen befindet. Die Reichen sind unmoralisch, vor allem, wenn sie ihr Geld nicht selbst verdient haben. Doch meistens kommt es anders und zweitens als man denkt. Als die Sandmanns unerwartet den Genuss einer üppigen Erbschaft kommen, schlagen sie diese selbstverständlich auch nicht aus, sondern wandeln nicht nur ihren Lebensstil peu à peu mit Freude um, sie nehmen auch die Vorzüge des unter uns klüngeln an, um ein noch angenehmeres Leben zu führen. Doch man kann es ihnen nicht verübeln, denn ehrlich gesagt, wer würde es nicht annehmen.
In unseren Kreisen, Georg M. Oswald, Verlag Piper
In doppelter Gesellschaft
Unter jedem Dach ein Ach, aber ist dieses Ach schlimm und kann man es verurteilen? Ein Mann aus Antigua liebt seit seiner Jugend seinen besten Freund Morris und sie führen eine Beziehung. Trotzdem heiratet er nach seiner Auswanderung nach London eine Freundin aus der Kindheit und führen seitdem eine Ehe, die mehr schlecht als recht funktioniert, inclusive zweier Töchter. Beide profitieren davon, Barrington hat seine Familie und daneben Morris, inclusive einiger Affären, Carmel führt ein unglückliches Leben im Wohlstand und verschließt die Augen. Doch ist dies verwerflich? Nach wie vor haben wir in unserer Gesellschaft häufig noch verkrustete Strukturen, wo es verheiratete, gut situierte Paare eben einfacher haben. Doch irgendwann fällt so ein fragiles Kartenhaus in sich zusammen, nämlich dann, wenn es ein Beteiligter nicht mehr aushält. Interessant zu lesen, was sich oft auch vor unserer Nase abspielt - auch wenn die Sprache nicht jedermanns Sache ist.
Mr. Lovermann, Bernardine Evaristo, Verlag Tropen
Emotionen über den Tod hinaus
Ein Kind ist eine Bereicherung - in der Regel. Keine Regel ohne Ausnahme. Damit die Ausnahme trotzdem im Endeffekt einen erfüllenden Aspekt hat, dazu gehört schon viel Kraft und Durchhaltevermögen.
Ein behindertes Kind bringt den Alltag einer „normalen Familie " durcheinander. Und alle Mitglieder reagieren unterschiedlich. Aus einer anfänglichen Ablehnung des großen Bruders entwickelt sich eine aufopfernde Hilfsbereitschaft, während die Schwester in ihrer Ablehnung verharrt. Die Eltern tun alles, um das Leben des Kindes irgendwie zu erleichtern – auch das der Familie, denn sie bringen es irgendwann in ein Heim, weil sie den Alltag nicht mehr schaffen. Dort stirbt es im Alter von 10 Jahren. Trotzdem bleibt die Familie von dem Schicksal beeinflusst. Sogar der später geborene Sohn kann sich den mittlerweile in Fleisch und Blut eingegangenen Verhaltensweisen nicht entziehen, bis es schließlich schafft, die Emotionen für sich zu gewinnen. Ein sehr emotionales und interessantes Buch, vor allem weil selbst mir nicht bewusst war, wie sehr ein behindertes Kind auch das Leben der später geborenen Kinder beeinflussen kann.
Brüderchen, Clara Dupont-Monod, Verlag Piper
Schein und Sein
Einige Menschen legen sich ihre Wahrheit ja gerne so zurecht, dass sie bei ihren Mitmenschen. Der schöne Schein muss schließlich gewahrt werden. So auch bei Nationalrat Dr. Stotz. Er hat schließlich eine unglaubliche Karriere hingelegt. Dessen Nachlass soll der junge Jurist Tom Elmer noch während dessen letzten Lebenswochen ordnen und sich vor allem das `traurige Schicksal´ um die Verlobte Melody anhören. Dass die weiße Weste nicht ganz so unbefleckt ist, wie anfänglich geglaubt und dass die Story um die Verlobte schöner zusammengebastelt ist als sie in Wirklichkeit war, kommt dabei wenig überraschend heraus. Schließlich sind die wenigsten Geschichten in Wahrheit so schön, wie es die Erzähler selbst gerne hätten.
Melody, Martin Suter, Verlag Diogenes
Ungerechte Welt
Dass Menschen, die anders aussehen, immer noch Probleme in manchen Gesellschaften haben, ist bekannt. Trotz Verbote diverser Bezeichnungen, was meiner Meinung nach sowieso nichts bringt. Die Unterdrückung der chinesischen Bevölkerung ist das Thema von Celeste Ng neuesten Werkes. Die Zerrissenheit in den Familien ist eindringlich beschrieben. Dass eine Mutter ihr eigenes Kind erst im Stich lässt und es dann mit seinen 13 Jahren emotional und intellektuell überfordert, ist weniger verständlich. Außerdem ist die Story zu sehr konstruiert und auch etwas zäh, was angesichts des eigentlichen Konfliktes, nämlich der chinesischen Unterdrückung, ja fast Rassismus in Amerika sehr schade ist.
Celeste Ng, Unsere verschwundenen Herzen, DTV Verlag
Mit Geduld und Scharfsinn
Fast erinnert die Vorgehensweise von Sörensen ein bisschen an den legendären Inspektor Columbo - man denkt man beim Lesen, warum er denn nicht in die Gänge kommt. Anfänglich zieht sich die Story, bis die vermeintliche Tat geschieht, auch werden die Fährten an langer Leine gezogen. Bis so langsam aber sicher Struktur in die ganze Sache kommt. Und es ist so häufig, wenn falsche Spuren gelegt werden. Da gibt es mehrere Beteiligte, die etwas zu verbergen haben und die den goldenen Schein wahren wollen. Warum fährt das Auto mit einem Täter in das einzige Fest, was das Kleinstädtchen zu bieten hat. Und warum wollen so einige Kleinbürger den beharrlichen Hauptkommissar so unbedingt loswerden? Katenbüll hat viel zu bieten, aber eher an schrägen Charakteren als an tollen Geschichten.
Sörensen sieht Land, Sven Stricker, Verlag Rowohlt
Der ganz normale Wahnsinn
Was ist normal und was nicht, wer bestimmt, was "Allgemeinwissen" ist und was nicht? Ein erfolgreicher Fotograph schlawienert sich durch Partyleben - natürlich mit Drogen und Alkohol - macht trotzdem Karriere und hat Sinn für Familie. Er steht seiner Mutter zur Seite, vor allem nach dem Tod seines Vaters. Auch wenn sie ihre Allgemeinbildung mit Heine und Chopin seiner mit Patti Smith etc. voranstellt - wer hat eigentlich festgelegt, dass dem so ist? Und er gründet schließlich seine eigene Familie, inklusive Sohn, und versucht ein einigermaßen bodenständiges Leben -auch mit pinkfarbenen Outfits - zu führen. Das gelingt nicht immer, Depressionen und Drogen übernehmen immer wieder das Ruder. Doch er kämpft sich mit Willen und der Unterstützung seiner Frau bis hin zu einer Therapie. Interessant zu lesen, wie man auch ein schräges, `normales´ Leben führen kann, was immer das auch heißen mag und wer dies beurteilen mag.
Toxic Man, Frédéric Schwilden, Verlag Piper
Venezianische Querverhältnisse
Wenn man den Schluss kennt, kann man den Anfang gar nicht mehr verstehen, ich als Mutter jedenfalls nicht. Irgendetwas stimmt nicht in der halb ehrenwerten venezianischen Familie Loredan. Warum ist der Sarg des Sohnes, der als Kind ums Leben gekommen sei, leer. Was hat ein englischer Journalist, bei dessem Auftauchen die Familie in Schockstarre gerät, mit dem Fall zu tun, ganz zu schweigen der harmlose Tourist? Nathan Sutherland, seines Zeichen Honorarkonsul in der Lagunenstadt kommt den ganzen Verstrickungen auf die Spur, ohne das Dolce Vita in Italien zu vergessen.
Das italienische Grab, Philip Gwynne Jones, Verlag rororo
Die Wirrungen des jungen Lebens
Noch sucht sie sich selbst, die junge Anna, Nach ihrem Philosophiestudium begibt sie sich mit ihrem deutlich älteren Freund auf eine Italienreise. Dort verliebt sie sich in einen aristokratischen Intellektuellen, Matteo, weswegen sie ihren anderen Lover Leo - zunächst? - verlässt. Doch da sie selber nicht weiß, was sie will - zwar immer beraten durch eine imaginäre Alte "von der Bushaltestelle" , pendelt sie durchs eben, von Freund zu Liebhaber, und hängt quasi in den Bäumen. Der Tod ihres übermächtigen Vaters rüttelt sie zwar kurzfristig auf, um dann wieder halbherzig zu ihrem alten Leben in Hamburg zurückzukehren. Anfänglich schön und interessant zu lesen, verliert diese Geschichte etwas den roten Faden. Weiterführen des Lebens von Anna offen.
Die Frau in den Bäumen, Elisabeth Plessen, Verlag Berlin
Das Epos des Lebens
Seine Sprache ist eine Leseweide, immer wunderbar, darin zu versinken. Ian McEwan versteht es, seine Leser*innen in seinen Bann zu ziehen, dabei ist der Inhalt des Buches fast nebensächlich. Aber eben nur fast. Was der Hauptdarsteller Roland Baines in seinem Dasein so alles erlebt, ist die gesamte Bandbreite eines Schicksals. Von der Klavierlehrerin verführt (ob dies das prägenste Element ist, lassen wir dahin gestellt) über die zunächst leidenschaftliche Ehe mit Alissa - der Lebensweg ihrer aber auch seiner Eltern , zieht er seinen Sohn Lawrence alleine auf, nachdem Alissa die beiden verlassen hat. Dazwischen werden immer wieder Episoden der Affäre mit der Klavierlehrerin Melissa berichtet. Dass er schließlich seine zweite Ehefrau Daphne - mitsamt ihrer Kinder - trifft, fängt ihn schließlich auf, auch wenn sie nicht lange überlebt. Ein wunderschönes Buch zu lesen - etwas weniger an Inhalt wäre allerdings mehr gewesen.
Ian McEwan, Lektionen, Verlag Diogenes
Der schöne Schein
Früher war die Cosmopolitan eine große Zeitungsnummer. Dann ,wie so oft, brach sie ein. Genau in dieser Zeit ergattert sich die junge Alice Weiss durch Kontakte einen Job als Chefredaktionsassistentin. Eigentlich schlägt ihr Herz für die Fotographie und später für einen Fotographen. Bis sie an ihr berufliches Ziel kommt, muss sie sich durch die Wirren und Intrigen bis hin durch das vermeintliche Glamourleben schlagen. Auch ihre ganz persönliche Problematik mit ihrer Familie, vor allem die der Mutter wird einfühlsam erzählt, auch wenn dies so gar nicht mehr in unsere Zeit passt. Schön zu lesen, vor allem, wenn man wie ich, aus dieser Modezeitschriftenwelt kommt und weiß, dass nicht immer alles Gold ist was glänzt.
Cosmopolitan, Zeit der Frauen, Renée Rosen, Verlag Rowohlt
Es ist nicht alles geschichtliches Gold, was glänzt
Die Familie Reichenheim ist eine angesehene Familie, in die die junge Anna Ende des 19. Jdh. einheiratet. Und wie das dann so ist, will sie für ihre sechs nur die besten Partien. Als ausgerechnet der älteste Sohn eine nicht standesgemäße Frau, Marie, - wie sie selber einmal war - heiratet, bricht sie den Kontakt ab. Um dieses noch zu toppen, führt er ein unsolides Leben - auch als er nach Amerika auswandert - und verschuldet sich immer wieder. Doch Marie hält zu ihrem Mann, selbst als bei der Rückkehr nach Deutschland auch noch ein uneheliches Kind entdeckt wird, welches sie als ihr eigen annimmt. Dann ändert sich die Zeiten vor und während des zweiten Weltkrieges, denn die Reichenheims sind Juden. Die Familie wird zerstreut und zerbricht teilweise - aber Marie schafft es, sich und ihren angenommenen Sohn, zu retten. Es ist einspannendes, aber ruhig erzähltes Buch mit einer interessanten Familiengeschichte.
Wellenflug, Constanze Neumann, Verlag Ullstein
Was zählt, ist die Freundschaft
Bei Freundinnen zählt meistens nur eines: die innere Verbundenheit und nicht der gesellschaftliche Status. Bea, Emma und Marissa haben alle ihr Päckchen zu tragen: Bea musste auf Druck ihrer Eltern ihr Baby zur Adoption freigeben...und kommt darüber natürlich nicht hinweg. Marissa hat sich in die Ehe mit einem gewalttätigen Mann gestürzt, vor dem sie zwar fliehen kann, aber nicht so richtig ihr Glück findet, Emma hat ebenfalls aus gesellschaftlichen Gründen ihre Künstlerkarriere aufgegeben, weil man - frau - es eben neben einer Familie nicht tut. Und wer immer so ein schwarzes Loch in sich fühlt, braucht seelische Stütze und dies geben sich die drei Frauen. Und wie das bei Judith Lennox so ist, wird am Ende fast alles gut. Doch bis dahin gibt es einige Auf und Ab´s.
Die Jahre unserer Freundschaft, Judith Lennox, Verlag Piper
Technik mit viel Tiefgang
Dass wir mehr unter Beobachtung stehen und kontrolliert
werden, teilweise sogar dirigiert, ist uns ja hinlänglich
bekannt. Offenbar ist dies jedoch nicht jedem recht. Chrysalis, ein milliardenschwerer Technologiekonzern will mit dem neuen Gerät Omega sogar tief in die menschliche Tiefe eingreifen und psychologische Verhaltensweisen beeinflussen. Doch kurz vor dem Lauch kommen drei Geschäftsführer auf mysteriöse Weise ums Leben. Dr. Jeremy Logan, seines Zeichen ein Ermittler der anderen Art, soll nun herausfinden, wer hinter den Toden - oder waren es Morde - steckt, und wie gefährlich wird dies nun für die Entwicklung der Menschheit.
Omega, Lincoln Child, Verlag Wunderlich
Vermisst ohne wiedergefunden zu werden
Eigentlich stellt man sich die kriminalistische Ermittlungsarbeit strukturiert vor. Doch wie im wirklichen Leben wird man manchmal eines besseren oder auch schlechteren belehrt. Als die 19jährige Lilli verschwindet werden die verschiedensten Experten, Kommissare und Ermittler hinzugezogen - selbstverständlich auch alle mit ihren eigenen geheimen Problemen. Dass dabei keine wirklichen Aufklärungen gefunden werden, ist schon fast absehbar, vor allem, da wieder irgendwelche Parallelhandlungen aufgezogen werden, die auch nicht wirklich zur Lösung des Falls beitragen. Si muss man auf das nächste Buch der Trilogie des Krimis warten. Ich für meine Person hätte jedoch gerne zumindest einen Fall am Ende des Buchs aufgeklärt. Karen Sander, Der Strand , Vermisst, Verlag Rowohlt, rororo
Zusammen ist besser als allein unglücklich
Jeder hat sein Päckchen zu tragen, das ist bekannt. Ein bisschen schwermütig wird ein Buch, wenn zu viele Menschen mit negativen Belastungen zusammen kommen. Eine Art Therapiehotel hat Valentin geschaffen, in dem jetzt alle Beteiligten - Hempel mit Marathon/Flugangst, Friederike, die ihr Baby nicht lieben kann, Valentin selbst, Linda und einige andere zusammen kommen, um sich gegenseitig zu helfen. Dass da keine Leichtigkeit aufkommen kann ist ersichtlich, aber manche Leser finden sicherlich Gefallen auch daran, vor allem, wenn sie sich selbst wieder erkennen. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zum Schluss...wenn doch ein Licht am Horizont auftaucht.
Nicht aus dieser Welt, Anne Köhler, Verlag Dumont
Das böse Schein und das bessere Sein
Dass häufig nicht alles so ist, wie es nach außen scheint, ist hinlänglich bekannt. Dass das echte aber so gemein ist, ist manchmal schwer vorstellbar. Und das deswegen drei Menschen sterben müssen, ist eigentlich unverzeihlich. Als in den 80er Jahren ein Autounfall passiert und durch diese Tragödie noch weitere Dramen passieren, wird in diesem Buch mit viel Finesse beschrieben. Heute ist es fast unvorstellbar, dass man nicht so leben darf wie man möchte. Das ist das Eine. Dass ein Mensch jedoch mit Niedertracht fünf Menschenleben zerstört, um seine eigene, armselige Existenz zu retten kann man nur verurteilen. Verwickelt sind Martin, Connor, Ellen und leider einige mehr, was Graham Norton mit viel Fingerspitzengefühl beschreibt.
Heimweh, Graham Norton, Verlag Rowohlt, rororo, Kindler
Fragwürdige Hilfsbereitschaft
Die Gefahren lauern überall und man ist vor nichts gefeit - selbst wenn man Hilfsbereitschaft bekundet. Die Gefahr muss Zelda machen, die per se schon traumatisiert ist durch den Selbstmord ihres ersten Ehemannes, Vater ihres ersten Sohnes, und ihren Hochzeitstag mit dem zweiten Ehemann, Bor, just am 9/11 in New York, deren Ereignis die mittlerweile 5köpfige Familie hautnah mit erlebt. Dann stellen sie eine somalische, moslemische Nanny, Amal, ein, die während des Gesangswettbewerbs ihren Schleier abnimmt - und das dramatische Schicksal nimmt seinen Lauf bis zum tragischen Ende. Zwischendurch gelingt es Jessica Durlacher immer noch einige heitere, ganz normale, auch schwierige Familienerlebnisse zu berichten, die alle, die heranwachsende Kinder haben, nur zu gut kennen
Jessica Durlacher, Die Stimme, Verlag Diogenes
Iran und Deutschland in einer weiblichen Seele
Zwei Seelen in einer Brust. Im Iran geboren und in Deutschland aufgewachsen, denkt sich Mona zwar als Deutsche, aber so richtig zugehörig auch wieder nicht. Auch im Gefühlsleben schwankt sie zwischen zwei Welten, bzw. zwischen zwei Männern - je einer der Nationalitäten. Und doch muss Mona erst in den Iran reisen, um zu erkennen, wo ihre wahren Wurzeln liegen, dies allerdings eher Familiär. Es ist spannend zu lesen, mit welchen kleinen, Permanent-Make up und großen - Rolle in einer Ehe - Problemen sich im Iran die Frauen herumschlagen. Doch dies wird mehr in das andere "Heimatland" im- bzw. exportiert, als so manch einer wahrhaben will. Eine interessante Erzählung über das Innenleben dreier Frauen einer Familie.
Nava Ebrahimi, Sechzehn Wörter, Verlag btb
Überleben einer Ehe
Hat Lucrezia es geschafft oder nicht, stellt sich am Schluss die Frage- wenn man die wahre Geschichte kennt eher nicht. Wie es früher so war, wurde die hochwohlgeborene Lucrezia de´ Medici an einer Herzog verheiratet. Dieser entpuppt sich als brutaler Despot. Mit ihren eingeschränkten Möglichkeiten versucht sie sich gegen die brutalen Herrschformen zu wehren und Menschlichkeit an Hofe zu bringen. Dies macht sie sehr sympathisch. Doch auch ihre Eltern verweigern ihre Hilfe. War dies früher wirklich so?
Spannend zu lesen mit einem kleinen Beigeschmack...
Maggie O´Farrell: Portrait einer Ehe, Verlag Piper
Schuld und verspätete Sühne
Gretels Leben ist schon lang, über 90 Jahre und es wird die ganze Zeit überschattet von den Taten ihres Vaters im zweiten Weltkrieg. Doch trägt sie die Schuld? Dies fragt man sich beim Lesen des ganzen Buches, auch wenn sie selbst sich immer wieder zu Reaktionen hinreißen lässt, die verständlich und unverständlich sind. Von Kapitel zu Kapitel springt Boyne immer wieder zu den verschiedenen Zeitepisoden, die jeweils an Spannung zu nehmen bis zum Countdown in der Gegenwart, wo sich ein lang gehütetes Geheimnis lüftet und Gretel, wie sie meint, endlich die Sühne ergreift und einem Kind zu helfen. Sehr mitreißend.
Als die Welt zerbrach, John Boyne, Verlag Piper
Berlin Babylon zum Neunten
Am Anfang weiß, man nicht so genau, um was es geht. Charlotte Ritter, heute Rath, sucht noch nach ihrem Lebens- und Arbeitssinn und vermisst ihren Ehemann, der im Verborgenen lebt. Derweil hat sie ein/zwei kleine Stelldichein und Freundschaften, die sich aber nicht als solche bewahrheiten. Auch Gereon Rath muss sich der Wahrheit stellen, dass er nicht so Inkognito lebt, wie er gerne hätte und flieht nach Amerika, wo sich eine Parallel-Gangsterwelt auftut, der man ebenfalls folgen muss. Doch die Strippen fügen sich zusammen: es bleibt aber ein loses Ende. Die Spannung nimmt an Fahrt auf, doch sollte nach der neunten Folge eigentlich Schluss sein, sonst wird es irgendwann zäh. Doch wahrscheinlich - bei den offenen Strippen - wird es eine Fortsetzung geben.
Transatlantik, Volker Kutscher, Verlag Piper
Vergangene Gefühle
Einer alten Liebe nachtrauern, bzw., diese wieder aufsuchen, in der Hoffnung, dass sich alte Gefühle wieder herstellen lassen, ist immer etwas Spezielles. Zumindest kommen so Erinnerungen auf, die berühren. Berührend ist die Erzählung der etwas gelangweilten und gefühlsmäßig vernachlässigten Botschaftergattin Carmen, die meint, sich in einem Buch wiederzufinden. Da sie nichts besseres zu tun hat begibt sie sich auf die Suche nach ihrer angeblich früheren großen Liebe Antonio in das malerische Italien. Zumindest die Reisebeschreibung ist malerisch und ob die Wiederbegegnung genauso malerisch ist, wie erhofft bleibt nachzulesen.
Monterosso mon amour, Ilja Leonard Pfeijffer,
Verlag Piper
Dem Grauen ein bisschen Menschlichkeit geben
Nicht schon wieder ein Buch über ein Leben in einem Konzentrationslager denkt man sich. Doch die Erzählung von den drei Schwestern Cibi, Livia und Magda zieht den Leser in seinem Bann. Mit welcher Raffinesse, kombiniert mit einem Schuss Pragmatismus die Drei die brutalen Schikanen der Nazis und deren unmenschlichen Handlanger - die Frage ist, haben sich die Menschen wirklich gebessert? - überleben, ist lesenswert. Überraschend aber auch die unerwarteten kleinen Hilfsdienste der Überwacher in dem Lager, die jedoch wahrscheinlich alle nur um ihre eigene Haut kämpfen.
Dagegen sind unsere heutigen Probleme wahrlich unbedeutend.
Die Schwestern von Auschwitz, Heather Morris,
Verlag Piper
Schnitt für Schnitt den Täter finden
Manche Dinge wollen, wir ja nicht immer so genau wissen, in der forensischen Rechtsmedizin jedoch sehr wohl. Und es ist auch immer interessant, was die Sezierassistentin so alle herausfindet. Selbst als ihre Großmutter gesteht, dass Cassies Mutter ermordet worden ist, und dies angeblich sogar von ihrem eigenen Mann, lässt Cassie - trotz einiger Rückschläge nicht locke, bis sie dem wahren Täter auf die Spur kommt. Und ihrer wahren Vergangenheit. Sehr spannend zu lesen, bis auf einige Stellen, wo man wieder sieht: der Dativ ist dem Genetiv sein Tod.
Wer mit den Toten spricht. A.K. Turner,
Verlag Droemer
Kein Blatt vor dem Mund....
Warum kompliziert, wenn es einfach geht, denkt sich die Bauerstochter Mary. Sie sagt, was sie denkt und dies egal zu wem. Sie hat ein hartes Leben auf dem von harter Vaters Hand geführten Bauernhof. Doch auch hier handelt sie pragmatisch auch wenn die Konsequenzen darauf oft unangenehm sind. Als sie in das Pfarrers Haushalt hin gehandelt wird, wandelt sich ihr Schicksal zunächst, wie es scheint.. Sie führt mit der Pfarrers Frau ein angenehmeres Leben, auch wenn sie hier ihre Zunge ebenfalls nicht im Zaum hält. Dies hindert den Hausherren nicht, sich ihr nach dem Tode der Frau zu nähern. .. Dieses Buch nimmt sich einer außergewöhnlich einfachen - wie des 15jährigen Mädchens Mary - an, und ist interessant zu lesen. Einnehmend und mitfühlend.
Die Farbe von Milch
Nell Leyshon
Verlag Eisele
Die Flucht in ein anderes Leben
Wenn jemand sein Leben tauschen will, ist meistens etwas nicht in Ordnung. Als Claire, die vor ihrem gewalttätigen - und auch noch einflussreichem - Mann fliehen will, trifft sie auf Eva, die bereitwillig ihr Flugticket tauscht und somit Claire Eintritt in ihr Leben gewährt, hätte sie eigentlich nicht überrascht sein dürfen, dass sie dort ebenfalls auf Gefahren trifft. Eine Frau, die jedoch von ihrem Mann gewalttätig misshandelt wird, ist jedoch in der Regel zu fast allem bereit. Und so rollt Claire peu à peu das Leben von Eva auf und muss sich dann mit den nicht weniger gewalttätigen, obskuren Personen auseinandersetzen. Wie beide nun dieses Schicksal überleben, steht auf einem spannenden, anderen Blatt.
Der Tausch, Julie Clark, Verlag Heyne
Entscheidung mit tragischen Folgen
Kann eine Entscheidung und das Verschweigen dessen ein ganzes Leben beeinflussen und es überschatten. Ja, es kann. Um zur Liebe ihres Lebens von der DDR in den Westen zu fliehen, lässt Birgit ihr neugeborenes Kind zurück. Doch obwohl sie ihre Tochter nicht kennengelernt hat, bleibt in ihr eine Leere zurück, die sie letztendlich in den Alkoholismus führt und zerstört. Auch die Tochter hat den Hang, sich selbst zu zerstören, kann sich aber gerade noch retten...auch wenn es zur rechten Ideologie führt. Nach dem Tod seiner Frau Birgit erfährt Kaspar erst von der Existenz der Nachkommen und begibt sich auf die Suche nach seiner Stieftochter. Doch erst die Beziehung zu seiner Stiefenkelin schließt den Kreis wieder und entwickelt dadurch fast familiäre Gefühle.
Die Enkelin, Bernhard Schlich, Verlag Diogenes
Persönlicher Frieden im Krieg
Die Welt kann untergehen in dem ukrainischen-russischen Krieg und trotzdem hält Sergejitsch an den kleinen Dingen fest, die sein bescheidenen Leben zusammen halten. Seinen Bienen im Garten, die ab und an Besuch von einem hochrangigen Gast haben, gehört seine ganze Hingabe. Auch seine Bekanntschaft zu seinem Feindfreund Paschka hat eine gewisse Zuverlässigkeit. Der Verlust durch Trennung von seiner Ehefrau und damit auch seiner Tochter, ist fast sein größter Schmerz in seinem Leben. Als die Waffenattacken immer schlimmer werden, entschließt er sich, seine Bienen aus dem Donbass heraus in Sicherheit zu bringen und macht sich auf den Weg. Ob es woanders besser wird. Egal, Hauptsache sein Feindfreund wartet... Auch im Krieg geht das Leben weiter.
Andrej Kurkow, Grau Bienen, Verlag Diogenes
Überzeugte Gewalt...bröckelt
Wie weit darf eine Ideologie gehen? Der Hass zwischen "Links" und "Rechts" ist groß, auch wenn die Ideen ehrlich gesagt nicht immer so ganz weit auseinandergehen. Im Mailand der 70er Jahre eskaliert die Auseinandersetzung zwischen den jungen Radikalen der Lotta Continua, die sich für die Arbeiter einsetzen - selber aber auf Rosen gebettet sind - und den Faschisti, die, ja die eben nicht links sind und somit schon ein rotes Tuch in den Augen der jungen Linken. Eigentlich fühlen sich die jungen Schwestern Giulia und Gabriella im Recht, wenn sie auf Demonstrationen gehen, um für eine "bessere" Zukunft zu kämpfen, vor allem ohne die "Bonzen". Erste Zweifel kommen, als erste Unschuldige zu Tode kommen - vor allem, wenn es der beste Freund ist. Doch für Gabriella geht der Kampf zunächst weiter, bis die Rosen dornig werden. Der Roman ist mitreißend und fesseln, vor allem, wenn man wie ich, noch Reste dieses Mailands kennen gelernt hat. Doch wo ist die Ideologie geblieben? Gewalt löst keine Probleme, man muss für seine Überzeugung etwas tun und zwar im Frieden, doch das haben bis heute die meisten nicht verstanden.
Mit geballter Faust, Nicoletta Giampietro, Verlag Piper
Machenschaften der Oligarchen und ihrer Strippenzieher
Es ist die leidvolle Geschichte eines Journalisten, der die - bekannten - Geschäfte eines Oligarchen aufdecken will.
Dass das Geld nicht nur in Russland gemacht und aufbewahrt wird, ist ja nun hinlänglich aufgedeckt. Trotzdem will es ein Oligarch nicht hinnehmen, dass alles nochmal an die Öffentlichkeit gezerrt wird. Es ist wie im wahren Leben, einer ist nie alleine mächtig. Und mit welcher Brutalität die primitiven Helfershelfer auf die Familie des Journalisten Quint losgehen, erfordert schon eine harte Schale dies zu lesen oder einen gewissen Pragmatismus für die Realität dies zu lesen.
Die Jagd, Sasha Filipenko, Verlag Diogenes
Strippenzieher hinter Briefen
Es ist ein leicht perfides Spiel: 5 Freunde retten einem Mann das Leben, welcher sich als reicher Erbe herausstellt. Dieser will sich über die Jahre dankbar zeigen und zieht im Hintergrund seine Fäden, um diesen Lebensrettern bei Jobs etc. zu helfen...oder auch nicht. Dies mündet in einer vorrangig großzügigen Einladung, welcher auch eine junge Freundin, Anja, beiwohnt, die Max, so der gerettete Erbe, in Briefen über dieses Stelldichein informiert. In den Antwortbriefen nun erzählt dieser von seinem Leben und seinen Handlungen, wem er nun wirklich geholfen hat oder auch nicht. Interessant zu lesen, auch wenn eine aus Briefwechseln bestehende Lektüre nicht jedermanns Sache ist, auch nicht, wenn man sein Leben lang beobachtet wird.
Thommie Bayer, Sieben Tage Sommer, Verlag Piper
In die Tiefen der Menschheit
Ein interessant geschriebenes Werk: manchmal geht ein Satz über eine Seite, so dass manchmal der Faden verloren geht. Dabei ist der Inhalt dieses Buches eigentlich interessant. Fabian Hoffmann, der einstige Dissident, steht als Chronist in Diensten der »Tausendundeinenachtabteilung« von Treva. Hier, in den Labyrinthen eines unterirdischen Reichs, arbeitet die »Sicherheit« an Aktivitäten, zu denen einst auch die Wiedervereinigung zweier geteilter Staaten gehörte. In diese Welt ist Fabian einem ihrer Kapitäne, Deckname »Nemo«, gefolgt, um herauszufinden, wer seine Schwester und seine Eltern verraten hat. Fabian gerät auf eine mystische, mit vielen Verwirrungen gezeichnete, Reise, die ihn tief in die trevische Gesellschaft und ihre Utopien hineinführt. Dabei werden Ordnungsvorstellungen und Prinzipien der Machtausübung, die Verflechtungen von Politik, Staatsapparat und Medien sehr in Frage gestellt, wie es viele heute sehen. Auf seiner, nicht immer nachzuvollziehenden, Suche nach Ordnung und Sinn kämpft Fabian gegen die Windmühlen der Macht, die Fälschungen der Wirklichkeit, den Verlust aller Sicherheiten - und gibt doch den Traum von einer befreiten Zukunft nicht verloren.
Der Schlaf in den Uhren, Uwe Tellkamp, Verlag Suhrkamp
Wirkliche Freunde?
Freunde, besonders die, die sich aus der Schul- oder Universitätszeit kennen, sollten immer zusammen halten. Doch sollten einem manchmal Zweifel aufkommen. Es geschehen mehrere Morde und die Freunde der Gruppe schweigen und halten zusammen, bis schließlich einer von Ihnen das Opfer ist. Dass dann immer noch nicht hinter die Fassade geschaut wird, lässt auch an dem Zusammenhalt zweifeln. Trotzdem ist es ein interessanter Thriller, der sich langsam aber sicher auflöst bis hin in die Vergangenheit.
Freunde für immer, Kimberley McCreight, Verlag Droemer
Leben auf einer Lüge
Es liest sich leicht und locker, man pendelt zwischen Europa, Russland und Amerika hin und her und lernt die unterschiedlichsten, sozialen Schichten kennen. Die aus dem Arbeitermilieu stammende Juliette steigt Anfang des 20. Jahrhunderts durch Zufall und Schicksal in den Adel auf und schlüpft in die Rolle der Gräfin Sofia. Selbst bei und nach der Hochzeit bekennt sie sich gegenüber ihrem Ehemann nicht zu der Wahrheit und das Schicksal nimmt seinen Lauf, Ausgang ungewiss. Die Fäden ziehen sich zwar bis in die italienische Gegenwart, hat aber eigentlich keinen Einfluss auf die Nachfahren. Diese kämpfen mit ihren eigenen Befindlichkeiten, die aber eher aus der direkten Vergangenheit resultieren. Doch über das italienische Landleben sowie der ehemaligen adeligen Dekadenz liest man im Sonnenschein ja immer gerne.
Santo Fiore, Andrea Riepp, Verlag Piper
Unter dem Markisendach
Es gibt eigentlich keine Entschuldigung dafür, wenn man seinen Freund verrät. Und doch kann selbst so ein Mensch sympathisch sein. Als die 17jährige Kim aus ihrem Luxus - Leben - wenn auch luxusverwahrlohst - zum ersten Mal bei ihrem biologischen Vater Urlaub machen muss, taucht sie in eine ganz andere Welt ein. Nicht nur, dass dieser ein erfolgloser Vertreter für Markisen ist, er lebt auch noch in einem heruntergekommenen Industriehalle und umgibt sich mit Saufkumpanen - obwohl er selber gar nicht trinkt. Es ist ein Büßer-Leben, was die - zunächst ungewollte - Tochter mühsam heraus findet. Und sie entdeckt weiter, dass auch solch ein - nach außen wirkendes - armseeliges Leben durchaus positive Aspekte haben kann. Und sie lernt es und ihren Vater lieben, obwohl das Geheimnis, dass er lange bewahrt hat, wirklich nichts ist, worauf man stolz sein könnte. Und auch ihr vermeintlich unsympathischer Stiefvater hat seine Gründe für sein Verhalten und versöhnt sich schließlich mit der Vergangenheit. So kann jedes Schicksal etwas gutes für sich haben und irgendwann ist immer der Zeitpunkt, wo man alles hinter sich lassen muss und verzeihen kann.
Der Markisenmann, Jan Weiler, Verlag Heyne.
Die Chemie muss stimmen
Dass die Chemie stimmen muss, wissen wir. Dies wird oft schon von den Eltern und auch in der Familie eingeprägt. Wenn Mann und Frau sich verlieben, fliegen die kleinen Elektronen offensichtlich nur so hin und her. Doch wie dies alles genau aussieht, wissen die Allerwenigsten. Als sich Elizabeth verliebt ist dies ganz klar eine Aufeinanderprallung der kleinen Partikel und dies wird genau erläutert. Dass dann nach vielen Schicksalsschlägen - die in den 60ger Jahren leider auch ein Mangel der Emanzipation sind - schwenkt Elizabeth auf die Köchinseite um. Und dies wird in einer Fernsehsendung ebenfalls genauestens auf chemischer Basis erläutert. Wie konsequent die intelligente Dame in ihrem Handeln und Meinungen ist, ist sehr interessant zu lesen und vermittelt ein Bild, wie sich auch heute Frauen sehen können.
Eine Frage der Chemie, Bonnie Garmus, Verlag Piper
Backen für die Lebensfreude
Im Leben läuft nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt. Die Ballettkarriere endet durch einen Sturz und die Liebe des Bäckers in einer Katastrophe. Jeder verarbeitet solche Schicksalsschläge anders. Das anfänglich etwas seicht wirkende Buch entwickelt sich zum tiefgreifenden Werk mit Problemsituationen, die zu lösen sind und sei es durch heftiges Teigkneten - natürlich viel Empathie und Einfühlungsvermögen.
Der Geschichtenbäcker, Carsten Henn, Verlag Piper
Lange Nachkriegsspannungen.
Lange zogen sie sich hin, die Nachkriegwirrungen in Berlin. In vier Sektoren war die Hauptstadt aufgeteilt und es waren quasi Feindgebiete. Als 1954 der Verfassungspräsident Otto John - alles reale Figuren - verschwindet - schrecken die Politiker bis in die höchsten Etagen auf. In den Ostsektor zu gehen und dort Ermittlungen aufzunehmen ist höchst gefährlich, wie die abkommandierte Sicherheitsgruppe aus Bonn weiß. Und wie das in einem Spionagethriller so ist, haben viele Beteiligte zwei Gesichter und spielen mit gezinkten Karten. Für mich als Leser war es insofern interessant, dass sich, obwohl der Krieg offiziell 1945 beendet war, trotzdem noch so lange Feindbilder in einer Stadt halten konnten. Und dieser Zustand bis zu dem Bau der Mauer und darüber hinaus angehalten hat. Die Parallele zu dem heutigen Konflikt ist jedoch nicht zu übersehen. Sehr spannend zu lesen.
Ein Präsident verschwindet, Ralf Langroth, Verlag Rowohlt
Flirrende morbide Sommerhitze
Die Familie ist eine Gemeinsame Sache! Auch wenn einige Familienmitglieder in diesem Buch irgendwie versuchen auszuscheren - der eine Sohn versucht in der Ferne sein eigenes Leben zu führen, eine Tochter kann und will sich nicht an Konventionen halten, die Mutter will lieber alleine leben, als bei ihrem Ehemann - so ziehen alle doch irgendwie an einem Strang. Das Familenleben wird irgendwie manchmal zelebriert und wenn Not ist, auch zusammengerückt. Interessant sind die unterschiedlichen Charaktere, die sich aus so einer gemeinsamen Sache entwickeln und in denen sich jeder Leser irgendwie wiederfinden kann. Bei Anne Tyler sind es wie immer die kleinen Dinge, die das Leben und Lesen so lebenswert machen.
Anne Tyler, Eine gemeinsame Sache, Kein&Aber
Sengende Hitze strömt durch die ewige Stadt Rom und in den 70er Jahren ließ man sich davon richtig treiben. Nicht ganz so wie der junge Leo Gazzara, der anscheinend von der Hand im Mund lebt - überraschenderweise teilweise ganz gut. Morbide ist die Freundschaft zu dem labilen Graziano genauso zerstörerisch wie die Liaison zu Arianna. Das heiße Drama nimmt seinen Lauf bis zu dem tragischen Finale, welches ummantelt wird von dem Dolce Vita des Roms der 70er Jahre. Das Herausragende dieses Buches ist, neben der Ambiente, die literarische Sprache des Südens und des damit verbundenen Lebensgefühls.
Der letzte Sommer in der Stadt, Gianfranco Calligarich, Verlag Zsolnay
Wenn die Vergangenheit nicht ruht
Nach vorne zu schauen ist immer schwierig, wenn es in der Vergangenheit noch offene Wunden gibt. Ein Thema ist ein verschwiegenes Geschwisterkind, welches vor allen geheim gehalten wird. Besonders belastend ist dies, wenn dadurch die Liebe zum aktuellen Partner und weiterem Kind fehlt. Auf der anderen Seite ist der Tod eines Kindes, ein Schicksal, welches von Eltern kaum zu verkraften ist. So sind zwei Familien mit zwei Tragödien durch eine Person so ineinander verwickelt, dass es sie fast daran zerbrechen lässt. Langsam aber sicher löst sich jedoch der vergiftete Knoten, so dass die Beteiligten - zwar noch mit Narben - Luft holen und sogar unter veränderten Vorzeichen weiterleben können.
Unter Wasser Nacht, Kristina Hauff, Verlag hanserblau
Was nicht sein durfte
...und heute oft noch nicht sein darf, leider. Ein ergreifendes Buch zu einer Thematik, die oft nicht viel besser geworden ist, auch wenn Bezeichnungen verboten werden. Die Liebe eines deutschen Mädchens in der Nachkriegszeit zu einem farbigen US-Soldaten zeugt das, was sich früher Brown Babies nannte. Gretchen liebt Bob und die gemeinsame Tochter Marie. Doch da ihre Mutter das Kind nicht akzeptiert und sie Marie wegen ihrer lebensnotwendigen Arbeit nicht betreuen kann, gibt sie das Mädchen - wie sie denkt - kurzfristig in ein Kinderheim. Auch Bob wird zurück versetzt und kann nicht - auch aufgrund von Lügen - zunächst nach Deutschland zurückkehren. Und das Heim gibt Marie nicht wieder zurück und vermittelt sogar eine Adoption nach Amerika. Mit welch einer Verzweiflung Gretchen um ihre Tochter kämpft und sie - auch während ihrer zweiten Ehe und der Erziehung eines zweiten Kindes - fast daran zerbricht, ist sehr ergreifend zu lesen. Der Halbbruder - in der Form eines bekannten Moderators namens Tom - erfährt erst spät von der Existenz seiner Schwester und überhaupt des Schicksals seiner Mutter und versucht diese Puzzlestückchen mühsam wieder zusammen zu führen. Für mich ist es unverständlich, wie man die Liebe und die Nachkommen derer wegen ihrer Hautfarbe so verurteilen kann. Jedoch frage ich mich, ob sich dies heutzutage - auch wenn man gewisse Worte nicht mehr sagen darf, wirklich so geändert hat. Es sind nicht die Worte, die verletzten, sondern der Ton macht die Musik.
"Stay away from Gretchen", Susanne Abel, Deutscher Taschenbuchverlag
Wenn Liebe zu verqueren Mordgedanken führt
Bevor es endlich zur eigentlichen Krimithematik geht, kann man Diverses über die Flüchtlingsthematik in Italien erfahren, die wahrlich nicht zu unterschätzen ist, Doch der eigentliche Mord an der Schneiderin Elena führt erstmal durch ein verwirrendes Fadengespinst und endet dann in einer Vergangenheit, wo manche Ermittler wohl nicht richtig hingeschaut haben. Ansonsten nett zu lesen, wie das kulinarische Leben in Italien so spielt.
Das Ende des Fadens, Andrea Camilleri, Verlag Lübbe
Wie das Leben so unterschiedlich spielt
Helene hat es nicht leicht im Leben - allerdings ähnelt ihr Schicksal vielen anderen auch. Die Mutter ertränkt ihren Kummer über den weggelaufenen Ehemann in Alkohol, der entsprechende Mann mit unterschiedlichen Freundinnen. Diese sind so unterschiedlich wie die Facetten des Lebens der jungen Protagonistin selber. Diese ändert nicht nur ihren Namen in den unterschiedlichen Lebensberichten, auch Lebensentwürfe inklusive der mitspielenden Personen sind sehr divers, bis hin zu einem onominösem Unfall, bei dem sie ihr Gedächtnis verliert. Teilweise etwas verwirrend, aber wie eben das Leben so spielt, nicht immer nach vorgegebenen Regeln.
Milena Moser, Mehr als ein Leben, Verlag Kein&Aber
Was Frauen so passiert
Von allem etwas kann man in diesem Frauenroman lesen. Jede Frau hat ihr eigenes Schicksal, glücklich wieder vereint, alleine und hoffend, beruflich erfolgreich und trotzdem nicht richtig glücklich. Doch die drei Frauen halten - nach einer Streitpause - bedingungslos zusammen, auch wenn sich alles ein bisschen viel um die verstorbene Freundin dreht. Spannend sind zwischendurch die Fragen, ob die junge Pia ihre ungeplante Schwangerschaft durchzieht und wer der leibliche Vater einer Protagonistin ist. Ein optimales Buch für ein verregnetes Wochenende.
Drei Frauen am See, Dora Heldt, DTV
Eisige Absichten
Die vermeintlich harmlosen...sollte man immer hinterfragen. Mehr will ich gar nicht verraten. Unfreiwillig von der Außenwelt abgeschnitten, müssen die Mitarbeiter, ehemalige Mitarbeiter und sonstige Beteiligten in einem Luxuschalet miteinander ausharren. Doch es werden immer weniger. Ein Mord nach dem anderen passiert, so dass sich die Verbliebenen argwöhnisch beäugen, wer wohl der Täter sein könnte. Ein Motiv hätte fast jeder; man müsste nur genau hinter die Kulissen schauen, die sich teilweise glamourös, teils schüchtern oder weltmännisch geben.
Das Chalet, Ruth Ware, Deutscher Taschenbuch Verlag
Mörderische Gier nach Gold
Die Gier nach Gold ist bekanntlich groß. Das war früher so und es ist es auch heute noch. Und wenn dieses Gold
in Form von historischen Münzen ist, ist der Wunsch dieses in seinen Besitz zu bringen besonders groß, da wird auch ein Mord nicht ausgeschlossen. Erbe verpflichtet, und es übernimmt auch die Schuld; diese Erkenntnis hat die Kunsthistorikerin Anna Bentrop, als sie das Haus ihrer Tante erbt. Für das im Keller gefundene Doppelgrab interessiert sich nicht nur sie und natürlich die Kriminalpolizei, sondern auch sonstige unliebsame Besucher. Eine besondere Bewandnis haben die dort enthaltenen historischen Goldmünzen, die - und dies stellt sich bei Recherchen heraus - schon im Mittelalter im klerikalen Kreise für Mord und Totschlag gesorgt haben. Dies ist in der Gegenwart so und ruft auch Numismatiker auf den - nicht immer rechten - Plan. Ein interessanter Krimi, besonders, da er in Köln stattfindet.
Das doppelte Grab, Margarete von Schwarzkopf, Emons Verlag
Der schöne Schein
Jeder hat sein Päckchen zu tragen, auch im Filmgeschäft der 50er Jahre. Die kleinen Geheimnisse wie der die Sucht nach Alkohol oder diversen Pillen und sei es nur die nicht zugegebenen Sehnsüchte nach anderem Sex, was zu dieser Zeit noch nicht publik werden durfte. Doch wem es letztendlich zum Verhängnis wird und wer sich daraus rettet und zu einem zufriedenen Leben findet, ist eine verwickelte Geschichte - wie imer von Boyd interessant geschrieben.
Trio, William Boyd, Verlag Kampa
Mit Songs zur unfassbaren Lösung